16
Juni
2020

Schuld

Der Mensch wird unschuldig schuldig (Friedrich Weinreb)

Wir wollen gut sein. Was ist unser Verständnis, wodurch sind wir gut? Wenn wir nur keine Schwierigkeiten machen für andere und die Menschen uns als «lieb und gut» erfahren?

Wenn es uns bewusst wird, dass wir Leid verursacht haben, schmerzt es. Es ist ein brennender, stechender Schmerz. Wir möchten davon loswerden. Es geht nicht – was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden.

Ein Fluchtweg aus der unerträglichen Spannung ist den Schmerz hinunter zu transformieren: wir entwickeln ein schlechtes Gewissen. Was hilft es Schuldgefühle zu nähren? «Wenigstens habe ich Schuldgefühle» ist ein Büßen für ein Fehlverhalten? Wird dadurch dem «Opfer» geholfen? Oder mir? Mit keinem Gefühl können wir an einer Tatsache ändern. Unser Zustand muss sich ändern, damit die zerstörte Harmonie wiederhergestellt wird.

«Ich wollte verzeihen. Ich konnte nicht. Ich wollte mir verzeihen, dass ich nicht verzeihen kann. Es gelang mir nicht. Ich habe Gott gebeten, dass Er mir verzeiht. Er hat mir vergeben.»

Wenn wir nicht Verbrecher geworden sind, wenn wir nicht getötet haben, das können wir nur dem verdanken, dass wir nicht in diese Situation geraten sind, in welchen andere das getan haben. Es ist nicht unser Verdienst. Warum können wir dann kleinere «Vergehen», uns nicht verzeihen?

Wir greifen einen kurzen Abschnitt aus unserem Leben heraus: Das war falsch. Dadurch reißen wir das Geschehen aus der Ganzheit heraus. Und so macht es keinen Sinn. Alles hängt mit allem zusammen, wir sind ein Teil von komplexen Verkettungen.

Von Schuld können wir logischerweise nur dann reden, wenn eine freie Wahl besteht und das «Schlechte» gewollt wird. Wir sind aber nicht frei! Aus Unwissenheit, aus Selbstschutz, aus Nicht-besser-Wissen, aus Nicht-anders-Können und aus begrenzt sein in unserer eigenen Natur verhalten wir uns so, dass andere darunter leiden.

Wir sind in die Verstrickungen von Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart gefangen. Wir sind durch die Gene und durch die Umstände, in welchen wir aufgewachsen sind, geformt und verformt worden. Wieso haben wir den Anspruch an uns, fehlerfrei zu sein? Wir sind in einem Prozess des Werdens. Wir sind unvollkommen, das Gegenüber ist unvollkommen, die Beziehung ist im Werden, alles ist im Prozess Richtung Ganzheit. Mit welchem Recht erwarten wir von uns, dass wir allein schon vollkommen sind? Ist das nicht eine maßlose Arroganz? Es ist Größenwahn! Das muss enttäuscht werden!

Wenn ich auf die Ganzheit – was war, was ist und was sein wird – bezogen bin, dann geschieht das, was geschehen soll. Vom Urknall bis zu Ende der Welt. Dann kann mal ein Fehlverhalten, ein Versäumnis seinen Sinn erhalten. Dann spiele ich meine Rolle darin – nach meinem «besten Wissen und Gewissen» nach meinen Möglichkeiten, welche mir gegeben sind.

Es kann auch sein, dass in einer Situation die Klarheit mir genommen wird, damit ich eine Rolle erfülle, welche ich sonst bewusst nicht spielen würde. Woher meinen wir zu wissen, was unsere eigene Rolle bei den anderen auslöst? Vielleicht braucht er oder sie einen Schock.

Das soll keine Rechtfertigung sein. Sondern eine klare Erkenntnis meiner Begrenztheit. Es soll eine Erkenntnis sein, das mich demütig macht: Ich bin genauso ein Mensch, wie alle andere. «Fehler» zu machen gehört zum Prozess des Werdens. Es ist keine Schuld, sondern eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die uns zwingt, weiter zu wachsen. Aus der Verkettung von «richtig – falsch» uns zu befreien. Aus der Linearität von Ursache-Wirkung in die multidimensionale Komplexität des Lebens aufzuwachen. In den Zustand hineinzuwachsen, woher es möglich ist die eigene Lebensrolle zu spielen, das darin enthaltene «Unangenehme» zu ertragen und das Freudige mit leichtem Herzen durchleben. Das einzusehen ist schon eine Hilfe gegen Schuldgefühle.

Alles, was wir tun oder nicht tun, hat Konsequenzen. Unangenehme Konsequenzen sind keine Strafe, sondern Leitersprossen, die wir erklimmen können, um auf dem Weg weiterzukommen. Sie fordern zu Anstrengung auf und nicht zu unnötiges Leiden! (Das ist ein späteres Thema)

Schuldgefühle können nur entstehen, wenn ich nicht das mir zugedachte Leben lebe. Schuldgefühle verschwinden, wenn wir frei werden von fremden Maßstäben und das Leben wagen, das unser ist.

Nur dort gibt es Entwicklung, wo Ungleichgewicht besteht. Und Ungleichgewicht bedeutet Spannung. Alles in uns will Gleichgewicht, Ruhe, Harmonie: das kann aber nur entstehen, wenn wir uns darum ununterbrochen bemühen. Solange wir Vollkommenheit noch nicht erreicht haben, wird es immer einen «Anstoß» geben, damit wir nicht stehenbleiben. Diese Anstöße kommen uns als Störung des Erreichten vor – nehmen wir sie in Dankbarkeit an!

«Dankbarkeit ist der Schlüssel zum Willen.» (Reshad Feild) Wenn in mir Dankbarkeit aufsteigt für ALLES, was ich durchlebe, für jede Rolle, die mir zugeteilt ist, dann werde ich frei und meine Willenskraft wird freigesetzt.

Author; Agnes Hidveghy Kategorie: ARSSACRA

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Agnes Hidveghy

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