24
Mai
2021

Das Pfingstfeuer

Das Pfingstfeuer

Agnes: Was verstehen wir von Pfingsten? Was erzählt das Bild und was sagt die offizielle Ikonographie? Was steht im Neuen Testament über Pfingsten, als der Heilige Geist zu den versammelten Aposteln heruntersteigt?

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel, wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie vom Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen.
Und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
(Die Apostelgeschichte des Lukas 2, 1-4)

50 Tage nach Ostern feiern wir Pfingsten. Die Zahl 50 hat mit der Vollendung der Zeit zu tun: es sind 7 x 7 Tage als Zeitmaß für einen abgeschlossenen Zyklus. Mit dem 50. Tag beginnt eine neue Dimension.

An Pfingsten sind die Apostel wieder vollzählig, zwölf an der Zahl: Der Heilige Geist senkt sich über ihren Köpfen, als Feuerzunge. Im innerseelischen Zusammenhang bedeutet dies, dass alle Seelenanteile versammelt sind. Man könnte auch so sehen: Wenn alle Seelenanteile versammelt sind, ist die Zeit vollendet. Von da an öffnet sich eine neue Energiequelle, welche uns trägt.

Es heißt weiter, dass nach dem Pfingst-Ereignis die Apostel alle fremden Sprachen verstanden und sprechen konnten. Natürlich ist damit kein historisches Ereignis gemeint, sondern ein innerseelisches Geschehnis.

Als erstes stellt sich jedoch die Frage, was ist mit dem Heiligen Geist gemeint? In der christlichen Tradition heißt es, dass Er innerhalb der Heiligen Dreifaltigkeit die «dritte Person» ist neben dem Vater und dem Sohn. Wir haben Mühe, die Bedeutung des Heiligen Geistes zu verstehen – aber früher war es auch nicht einfacher!

Reijo: Es ist auch der Heilige Geist, von dem in der Verkündigung (durch die Vermittlung vom Erzengel Gabriel) die Jungfrau Maria Jesus empfangen hat.

Agnes: In der Heiligen Dreifaltigkeit wird die dreifache Wirkung der Einheit personifiziert. Wenn wir den Begriff Persona nehmen, es bedeutet griechisch die Maske, wodurch im antiken Theater die Schauspieler «hindurchtönen». So verstanden, ist die ursprüngliche Bedeutung: Die Einheit manifestiert sich, erscheint in drei Aspekten.

Der Heilige Geist, der dritte Aspekt, ist neben den männlich-kreativen und weiblich verwirklichenden Aspekten die verbindende Erscheinungsform der Einheit. Bei der Verkündigung wird durch seine Wirkung die reine Seele mit dem Göttlichen, das sie in die Inkarnation bringt, verbunden. Das kann in allen von uns Wirklichkeit werden.

Zu diesem dritten Aspekt der Einheit haben wir den Kontakt verloren. Wir stecken mit den westlichen Konzepten in der Dualität und sehen nicht, dass eine Kraft notwendig ist, die beiden miteinander zu verbinden. Wir denken in Gegensätzen: klein – groß, gut – böse, Mann – Frau. Die östlichen Philosophien dagegen sehen aus der Sicht den dritten Aspekt der Einheit: Sie definieren das Leben als ein Geflecht von Beziehungen. *

An Pfingsten ersteht die Kraft des Heiligen Geistes aus der Einheit der Seele – die zwölf Apostel – die Beziehungsfähigkeit zu allem und jedem – zu allem, was der Wahrnehmende nicht ist. Heute sprechen wir von Beziehungsfähigkeit. Damit wir in Beziehung treten können, müssen wir «die Sprache» des Wahrgenommenen verstehen. Das gilt auch in den menschlichen Beziehungen: Wir verstehen nicht dasselbe, wenn wir etwas zum Ausdruck bringen, oder wir brauchen verschiedene Formulierungen für die gleiche Sache. Solange wir uns innerhalb von unseren eigenen Konzepten bewegen, entstehen unzählige Gelegenheiten zu Missverständnissen. Die Beziehungsfähigkeit betrifft nicht nur unser Verhältnis zur Außenwelt, sondern auch zu unserer Innenwelt und nicht zuletzt ist sie maßgebend für unser Verständnis von Einheit, was die meisten Gott nennen.

Wenn in unserem Herzen Pfingsten ist, dann kann der Heilige Geist auf uns wirken, durch uns wirken. Dann verstehen wir uns und die anderen, wir sind dann fähig, so zu reden oder handeln, dass es zum Wohle aller dient. Uns selbst inbegriffen. Diese Fähigkeit ist in unserer Zeit sehr selten: wir reden aneinander vorbei. Worum es hier eigentlich geht, haben wir früher einfach LIEBE genannt. Sie ist die einzige Kraft, welche verbindet. Man kann sagen, dass der Heilige Geist ein anderer Name ist für Liebe. Wenn es um Beziehung geht, haben wir es nicht nötig so zu sein, wie der Andere und es ist nicht nötig, dass der Andere so ist, wie wir selbst. Aber wir können in Beziehung sein mit dem Andersartigen. Offen, mit Respekt den Anderen begegnen, wissend dass die andere Person anders ist als ich, und in seinem Anders-Sein genauso Qualitäten und mit seiner Unvollkommenheit genauso Mühe hat, wie ich.

Reijo: Respekt, anstatt Vergleich. Meinst du, nicht zu werten, sondern das erkennen, was uns verbindet?

Agnes: Oft steht zwischen uns und dem Anderen genau dieses Vergleichen und eine Vorstellung über ihn aufgrund von dem, was wir über den Anderen wissen. Aus der Vergangenheit gebildetes Bild. Das verhindert, dass ich den Anderen so sehe, wie er jetzt ist: Er ist nicht das, was er gestern oder zehn Jahre früher war. Respekt ist zu sehen jetzt (respectare = neu-, wieder sehen): Ich sehe diese Person JETZT wie sie ist, nicht mit «alten Augen» sondern mit einem frischen Blick – mit Respekt. So kann ich aus meiner engen, egoistischen Welt frei werden. Liebe kann nur in der Gegenwart, im Jetzt geschehen. Das bedeutet, dass eine Beziehung eine ständige neue Erfahrung ist, die nie langweilig wird, weil sie sich ständig nach ihren eigenen Gesetzen verändert. Das gleiche gilt für unser Innenleben: Immer wieder mit den «neuen Augen» sehen, was in uns geschieht.

Wir beschränken Liebe oft auf die emotionale Ebene: Wir sind so konditioniert. Es gibt natürlich die emotionale Liebe, es kann sehr schön sein. Aber das ist nur eine Ebene, auf welcher sich Liebe manifestieren kann. Liebe ist nicht beschränkt auf diese, natürlich gegebene Ebene. Die Katze «liebt» den Hund nicht, aber sie können trotzdem eine Freundschaft aufbauen – ich würde da eher von «mögen» oder «nicht mögen» sprechen.

Es ist wichtig darüber nachzudenken und zu erforschen, was Liebe ist.

Reijo: Was hält uns von der wahren Liebe zurück?

Agnes: Es sind einige Sachen, die unseren Zugang dazu verhindern können. Das größte Hindernis sind unsere Emotionen. Die Emotionen können verbinden, aber auch gewaltig trennen. Liebe ist aber DIE verbindende Kraft, kann niemals ins Gegenteil umschlagen.

Reijo: Was ist die Ursache davon, dass die Emotionen eine so große Bedeutung für uns haben?

Agnes: Das ist eine wichtige Frage. Ein umfangreiches Thema. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir ein andermal darüber sprechen.

 

*Über die Bedeutung der Heiligen Dreifaltigkeit siehe den Text: Agnes Hidveghy: Das Vaterunser und die Heilige Dreifaltigkeit https://arssacra.org/texte/spiritualit%C3%A4t/christlich

Author; Agnes Hidveghy Kategorie: Christentum

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